Durch meinen Rückspiegel gesehen

„Es war die Zeit, also sich der Weg für mich gabelte, und ich wußte, ich muss jetzt eine andere Richtung einschlagen. Ein langes Berufsleben – erfüllt, aber unweigerlich, fast abrupt, zum Abschluss gekommen. An einem schmerzlichen Wendepunkt auch mein privates Leben.

Während eines Kuraufenthaltes bekam ich zum ersten Mal ein Stück kühlen, feuchten Ton in die Hände gelegt. Ich formte einen kleinen Kopf. Augen, Nase Mund, Wangenknochen, nicht schlecht, die Ohren waren das Schwerste, aber am Ende konnte sich das Ergebnis sehen lassen. Die Ergotherapeutin erblickte einen römischen Jüngling in meinem Werk. Das hätte ich nicht für möglich gehalten! Meine Absicht war das nicht. Was herauskommt bei kreativem Tun – und das ist das Formen, Brennen und glasieren eines Stück Tones auch bei Laien, wie wir Frauen von er „Schutzhülle“ es sind: „es beginnt immer im Kopf mit der Idee, und Sie werden es erleben“ – so die erfahrene Therapeutin vor vielen Jahren – „Ihr kreativer Einfall setzt sich in Marsch bis in die Fingerspitzen.“

Erwartung, Befriedigung und auch Überraschungen stellen sich ein, wenn die gebrannten Gegenstände – Teller, Vasen, Glocken, Weihnachtsengel, Osterhasen, was immer auch gewerkelt wird, abgekühlt von der Hitze des Ofens vor uns stehen. Unzählige Male haben wir Frauen aus der Mittwoch-Gruppe um Marion Fritsche das erlebt. Und wirklich, es ließen sich im Laufe der Jahre sogar „Handschriften“ erkennen.

Zum Adlershofer Grauen-Verein mit dem beziehungsvollen Namen „Schutzhülle“ kam ich vor nunmehr fast 15 Jahren über eine Nachbarin. Im Kreativzirkel fühlte sie sich aufgefangen. Der Tod des Ehemannes im gemeinsamen Afrika-Urlaub hatte das Leben von heute auf morgen brutal verändert. Die Gruppe gab ihr für zwei Stunden ein Stück Geborgenheit und Sicherheit. „Schutzhülle“, ein beziehungsvoller Namen. Er impliziert Miteinander, vor allem das brauchen die meisten, die den Weg zu „Schutzhülle“ fanden. Was gibt es Besseres! Mit Freude bekam ich von meiner tapferen Nachbarin die Ergebnisse ihres Tuns gezeigt: individuelle Glückwunschkarten, diese und jenes kleine Stück Keramik wie geformte Blüten und Blätter, bunt glasiert. Das wollte ich auch gern machen.

Ich erinnere mich noch genau, als die langjährige Leiterin des Projektes „Schutzhülle“ Hannelore Schiemann, mir nach ein paar Monaten Wartezeit am Weihnachtsmarktstand von „Schutzhülle“ die freudige Botschaft zuflüsterte: „ab 1. Januar können Sie kommen!“ von ihr habe ich viel gelernt.

Nun geht die Zeit in den uns so vertrauten Räumen in der Hans-Schmidt-Straße unweigerlich zu Ende. Dier Umzug an einen neuen Ort steht bevor. Ich frage mich, ob es wirklich unabänderlich war.

Es ist so viel erreicht worden. Für so manche Teilnehmerin wird der Weg nach Baumschulenweg zu weit und zu beschwerlich sein. Einschnitte auch für die Frauen, die mit ihrem Wirken in den Gruppen den Laden am Laufen hielten. Sie gaben Anleitung und Hilfestellung in den Gruppen, darüber hinaus entstanden unter ihren Händen unzählige kleine Keramik-Figuren und andere Gegenstände, die auf Basaren zum Nutzen der Vereinskasse immer gut verkauft wurden. Ich steckte nicht drin, aber ich wußte immer von dem unermüdlichen Ringen des Vorstandes um das Überleben des Vereines. Ich weiß auch von der Gruppe krebserkrankter Frauen, die ich niemals kennenlernte, die aber diese „Schutzhülle um sich“ brauchten, damit wieder Hoffnung wachsen konnte. Und von den Frauen, die herrlichste Textilarbeiten machten und Bildkunst-Werke, die aus den verschiedensten Materialien zu Collagen verarbeitet wurden. Der Verein hat eine lange Tradition. Seine Wurzeln stecken im regen Zirkelleben der DDR. Da ist etwas bewahrt worden.

Ja, es war auch ein Kommen und Gehen bei uns, viel Bewegung und Veränderung. Verwerfungen und Mißtöne blieben nicht aus. Schicksale bleiben nicht verborgen, aber Heilung und Zuwendung gedeihen nur in vertraulichen Gesprächen. Menschliche Verluste und sorgen, die in den Alltag einbrechen, sie gab es und wird es auch  künftig geben. Die Zeiten sind unruhig, wenn es eine Gewissheit gibt, dann diese.

Dennoch: Im Rückspiegel besehen hatten wir Heiterkeit genug. Wir ließen keinen Geburtstag aus, lachten übermäßig laut und waren manchmal ein schwer zu bändigender Hühnerhaufen. Wir lobten über alle Maßen die köstlichen Weihnachtsbäckereien, bewunderten untereinander unsere Keramik-Arbeiten. Wir schätzen bis heute den Einsatz der Frauen, die sich dem schwierigen Geschäft der Vereinsabrechnungen zusätzlich widmeten.

Sybille Schumann, die die Fäden nun schön ein paar Jahre fr den Verein in der Hand hat, möge nicht müde werden, die „Schutzhülle“ als Ort für bewährte und neue Projekte im besten Sinne zu bewahren.“

B.W. Juli 2018